Schutzlos in Affaland
2015 – Zwei Wochen Urlaub im Salent in einer Masseria für Frauen

Willkommen im Pool – Neun Schäferhunde kläffen.

Abendessen
Küchenfrauen stehen an großen Töpfen, rühren, schmecken ab, schneiden Brot, füllen das Büfett mit vielen kleinen Gerichten: Tortilla, Salate, Bohnen, Pasta, .
Erwünscht und obligatorisch, 10 €, für jede Frau.
Gina, ehemalige Pizzabäckerin, eine der Köchinnen, soll in den kommenden Monaten ein Bed and Breakfast für Frauen auf Malta leiten, dem ersten Wohnsitz von Fiona, der Eigentümerin der Masseria. Steuern zu sparen, ist ihre Devise.

Es erscheint Fiona.
Im Gefolge Chinchilla und die neun Hunde.
Der Inner Circle tagt.
Von allen Seiten wird die Shit rauchende Fiona hofiert und bedient.
Hineinschaufeln des Essens ohne Blick nach rechts und links.
Im Minutentakt gehen Nachrichten klangvoll auf dem i Phone ein. Kurzer Blick auf`s Display, keine Reaktion.
Episode am Rande: Sonia, eine Helferin im Sommer gegen Logis und Kost, schneidet überreife Pfirsiche als Nachtisch für sich auf. Chinchilla kommt hinzu und fordert sie auf, auch die vergammelten Teile zu essen, nichts sollte umkommen. Angemerkt: Der Biomüll stinkt zum Himmel in einer überdimensionierten Plastiktonne.
Macht wird pur ausgespielt.

Eigener Golfplatz auf der Masseria, Pferde und Sulky, Pferdepflegerin, Bedienstete, die die Ziegen füttern und melken.
Es sollte später noch deutlicher zu merken sein, wer auf dieser Masseria das Sagen und die Kontrolle hat.

An einem anderen Abend wird von Chinchilla unter großem Palaver und gestenreich in Szene gesetzt eine mitgebrachte Torte dekoriert, aufgeschnitten und verteilt. Sie zeigt, dass sie im Mittelpunkt steht. Man weiß mittlerweile, wer die Fäden zieht.

Eigener Zugang zum Strand. Ein Tunnel unter der Straße. Zwei Metalltore sichern diesen privaten Zugang. Das blaue Mittelmeer lässt vergessen, dass im selben Wasser täglich Flüchtlinge um ihr Leben auf dem gefährlichen Weg nach Europa fürchten müssen. Politische Gespräche werden auf dieser Masseria ausgeblendet. Man tanzt bis nach Mitternacht gegen das Vergessen.

Maria, eine Frau aus Brasilien, seit fünf Jahren in der Masseria angestellt, Lohn 900 € im Monat incl. Logis und Kost, hat Fionas Hunden Eier zum Fraß gegeben, in Fionas Augen verdorben. Es kommt zum heftigen, lautstarken Wortwechsel, in dem Fiona Maria ein schweres E Bike entgegenwirft. Die kräftige Maria fängt das Bike ab, es hätte sie schwer verletzen können.

Eine Autorin aus Schottland wird Zeugin. Unglaubliches, Gewaltstarkes, Erniedrigendes, Verletzendes spielt sich hautnah vor den Augen und Ohren der Gästinnen ab. In einem Frauenschutzraum, so die Homepage der Masseria. Maria und Susanna, ihre Lebensgefährtin, mit der sie die Fronarbeit verrichtet, haben Ähnliches bereits mehrfach erlebt.

Unglaublich, dass bisher keine der Frauen, die hier Urlaub machen, eingegriffen und sich solidarisch gezeigt hat. Die Autorin Denise und Iris eine Ärztin aus Norditalien, gehen zu Maria beruhigen sie und teilen ihr Solidarität mit.

Am kommenden Morgen um 7 Uhr kommt es erneut zu einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen Maria und ihrer Chefin. Mehrfach fällt der Name der schottischen Autorin, sie ist eine wichtige Zeugin.
Früher als geplant reist sie von diesem Ort der Missachtung von Menschenrechten ab. Stoff zum Schreiben in Fülle.

Andere Frauen würden ob der Gewalt gerne abreisen, eruieren Flügen und Hotels in der Nähe, kommen zum Schluss, sich zumindest dem abendlichen Büfett zu verweigern.

Am Abend des Geschehens geht Chinchilla von Frau zu Frau, deutet mit Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand auf die Augen und bedeutet, ich sehe alles.
Eine Einschüchterung, der wir keine Bedeutung beimessen.
Wir werden als rigide Deutsche angesehen, Klarheit ist nicht erwünscht.

Nicht alle bleiben standhaft, sogar eine Anwältin, deren Spezialgebiet Gewalt gegen Frauen ist.
Sie lässt sich gemeinsam mit ihrer Lebenspartnerin von Fionas und Chinchillas Projekt eines Frauenhauses in einer nahegelegenen Stadt blenden. Selbst die lautstarke Zurechtweisung eines Arbeiters, der in den Augen von Fiona nicht korrekt gearbeitet hat, schreckt sie nicht. Anweisungen geben gehört in einer Hierarchie dazu. Sich für Frauen einsetzen und Gewalt an Abhängigen ausüben, das geht nicht zusammen!

Nicole, eine traumatisierte Autorin, wird wegen einer Geringfügigkeit von Fiona angebrüllt, anderentags wird sie im Schwimmbad von den scharfen Hunden angefallen.
Eine Entschuldigung? Gibt es nicht.

Frauen aus Neapel, der deutschen Sprache mächtig, eine von ihnen sogar Deutschlehrerin, sprechen nicht mit uns, wollen gar nicht kommunizieren, etwas von uns wissen. „Wieso sprecht ihr eigentlich nicht Italienisch?“ Eine Frage auf die wir keine Antwort geben müssen.

Maria und Susanna beschließen zu kündigen und an einem anderen Ort in Italien eine Arbeit zu suchen.
Sonia wird noch bis August bleiben, abreisen und nicht wiederkommen.
Sie hat eine Wohnung in Bologna.

Maria und Susanna müssen für eine Bleibe und Arbeit auf die Suche gehen. Nach Brasilien wollen sie nicht zurück.
Sie haben Freiheit gespürt, die wollen sie sich jetzt erobern.

Auf der Terrasse vor unserem Apartment stehen an eine Wand gelehnt seit unserer Anreise zwei gerahmte Ölbilder in Karton eingepackt.
Kunstwerke. Von Künstlerinnen gekauft, um diese zu unterstützen. Vielleicht werden diese Werke nie andere Frauen zu Gesicht bekommen. „Volo“ – Fliegen, so der Titel des einen.

Wir schauen in die Verpackung, ungläubig. Täglich geht die Rasensprengung an, auch auf die verpackten Ölbilder, die sicherlich Schaden nehmen.
Meterhohe Tonfiguren, vor einem Jahr gekauft, liegen auf dem Gelände herum. Nie aufgestellt. Sonia: „Chinchilla ist eine kreative Frau und Kunstkennerin.“ Blanker Hohn.

Als wir die Masseria nach zwei Wochen verlassen, sich das Stahltor, mit Sonne und Mond durchbrochen, öffnet, fällt das Morgenlicht auf Hunderte grüner Scherben einer Jägermeisterflasche. Augenscheinlich hat sich Zorn am Tor entladen.

Wir räumen den Ärger weg und fahren mit der Morgensonne der Freiheit entgegen.

Unkompliziert geben wir unser Mietauto am Flughafen in Bari zurück, checken ein, besteigen die Maschine der Germanwings und heben in den blauen Himmel ab.
Wir waren nicht willkommene Deutsche.

Den Italienern im Süden des Landes geht es schlecht.
„Sogar die Mafia macht sich davon,“, schreibt der Bestsellerautor Roberto Saviano – denn es gibt „nichts mehr zu melken“. „Der Süden stirbt“, so Savianos „Schmerzensschrei“. (spiegel online 5.8.2015)

Wir sind Augenzeugen dieses Rückschritts, des Verfalls und der immer noch bestehenden Herrschaftsstrukturen, die einem Neuanfang entgegenstehen, geworden.

Bella Italia?
Werden wir wiederkommen?
Das bleibt offen.

9.August 2015